Am Abend des 24. Dezember jedes Jahres ziehen im Baselbieter Dorf Ziefen um 21.00 Uhr einige Dutzend meist jüngerer Männer schweigend, aber unter dem Getöse im Takt geschwungener Glocken auf traditioneller Route durch das Dorf.
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Die Nünichlingler Ziefen sind in der Liste der lebendigen Traditionen der Schweiz aufgeführt, also auch auf der UNESCO-Liste.
Voraus geht der grösste Bursche mit angehängtem weissem Bart, der in der Hand eine Stange mit russgeschwärztem Lappen trägt; wer den Kopf neugierig aus dem Fenster streckt, riskiert einen Russfleck aufgeklatscht zu erhalten. Die Männer sind alle in lange, dunkle Mäntel gekleidet und tragen auf dem Kopf schwarze, zylindrische Kartonröhren, die bis zwei Meter hoch sein können. Diese Kopfbedeckungen haben jedoch keine tiefere Bedeutung, sie entstanden im Laufe der Zeit durch spielerischen Wettstreit der Teilnehmer um den höchsten Zylinder.
Der heutige Umgang ist die seit etwa einem halben Jahrhundert gepflegte und "gesittetere" Form früherer wilder Umzüge, die in verschiedenen Dörfern des Kantons Baselland seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts bekannt sind.
Wenns am Heiligoobe nüüni schlootBrauchtum Nünichlingeln: Ein ungewöhnlicher Brauch findet zu Heiligabend in Sissach, Ziefen und Arboldswil statt.
Oberer)
Brauchtum Nünichlingeln: Ein ungewöhnlicher Brauch findet zu Heiligabend in Sissach,
Ziefen und Arboldswil statt.
Den Nünichlinglern war man nicht immer wohlgesinnt. 1827
rügt der «Schweizer Bote»: «die höchst gottvergessene Gewohnheit, dass in
vielen Gemeinden der Landschaft junge Burschen am heiligen Abend schändlich
maskiert, mit Trinkeln (Treicheln) auf den Gassen und in den Häusern als
sogenannte Neuneklingler umherschwärmen und einen unverantwortlichen Lärm
verursachen, um die kleinen Kinder in Furcht zu jagen. Das ‹Untier› werfe, um
diese hinter dem Ofen hervorzulocken, Nüsse in die Stube, dringe dann herein
und drohe sie hinauszuschleppen, zum grossen Schaden der unschuldigen Kleinen.»
Dem kann der Schreibende nur beipflichten. Wurde er doch als
kleiner Bube regelmässig von den Nünichlinglern heimgesucht. Verschanzt im
Kinderzimmer, versuchte er den rasselnden und schellenden Rabauken zu
entkommen. Half alles nichts. Der eingeschüchterte Bube musste antraben, ein
sicherlich pädagogisch wertvolles «Värsli» vor sich hin stottern. Trotz seines
heroischen Vortrags wurde er in Ketten gelegt und vom stattlichsten Kerl der
unheimlichen Bande zurechtgewiesen. Geschadet hat es nichts. Geblieben ist die
Erinnerung an einen archaischen Brauch an Heiligabend, der noch heute in
Ziefen, Sissach und Arboldswil lebendig ist.
Russlappen für Vorwitzige
Ums Jahr 1900 sind die Pfarrer froh, dass das «Zerrbild des
Nikolaus» wenig mehr auftritt. Aber noch um 1930 lärmten zum Beispiel in
Arboldswil und Läufelfingen ungezügelte junge Nünichlingler gruppenweise mit
Kuhglocken und Ketten durch das Dorf. In Pelerinen und Militärkaputen, mit
russigen Gesichtern und Bärten aus Wärch (Werg) oder Seidenresten
(Seidenband-Heimindustrie), aber auch etwa in weissen Nachthemden rannten sie
Buben und Mädchen nach, banden sie oder tunkten sie in den Brunnen. Sie kamen,
gebeten oder ungebeten, in die Häuser, schreckten die Kinder und warfen Nüsse
und dürre Schnitze auf den Boden. Um die Nünichlingler wohlgesinnt zu stimmen,
gab man ihnen Most oder Schnaps, oder auch mal ein paar Batzen.
In seinem im Jahr 2008 erschienen Buch «Magische Ziefner
Nünichlingler» versucht der Ziefner Franz Stohler (81), selber ehemaliger
Nünichlingler, dem Brauch näherzukommen. Er schreibt: «… Ihre Entstehung und
der genaue Zweck liegen im Dunkeln. Der Brauch existiert einfach und wird Jahr
für Jahr wiederholt, von Generation zu Generation weitergegeben. Er gehört
heute zum Dorf Ziefen und ist nicht mehr wegzudenken.»
Erst zu Beginn der 1930er-Jahre bildet sich in Ziefen die
heutige, gepflegtere Form des Nünichlingelns heraus. Vorher traten die
Nünichlingler, wie noch heute in Sissach, als kleine Gruppen, ohne feste Route
auf. Wer aus dem Fenster schaute, wurde mit einem Russlappen geschwärzt, der an
einer langen Stange befestigt war.
Mit Lärm gegen Dämonen
Aber warum Nünichlingler? Woher kommt der Name? Klar ist:
Geklingelt wird um 9 Uhr abends – und das am Heiligen Abend. Auch Stohler weiss
darauf keine abschliessende Antwort. Trotz intensiven Suchens in alle
Richtungen sei er nirgends auf Hinweise gestossen, die den gewählten Zeitpunkt
erklären können.
Die Nünichlingler gehören zur «Familie» der Lärmbräuche des
Mitwinters. Dass in den langen, dunklen Nächten (den sogenannten Raunächten)
des Dezembers Maskengestalten in Pelzen und Kuhhäuten mit Ketten oder Glocken
lärmend durch die Strassen zogen, war in ganz Europa weitverbreitet. Als
Raunächte werden die zwölf Nächte zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar
bezeichnet. Erst wenn diese zwölf Nächte vorbei sind, siegt wieder das Licht
über die Dunkelheit. In diesen dunklen, mysteriösen Nächten galt es darum, die
Dämonen mit Lärm zu vertreiben.
So werden auch heuer am 24.Dezember in Ziefen, Sissach und
Arboldswil um 21 Uhr wieder die Nünichlingler unterwegs sein. In Ziefen ziehen
gegen 50 junge Männer unter dem Getöse im gleichmässigen Takt geschwungener
Glocken auf der traditionellen Route durch das stockfinstere Dorf. Angeführt
werden sie vom Besenmann, dem grössten Burschen mit weissem Bart. In der Hand
trägt er eine Stange mit einem russgeschwärzten Lappen, um den vorwitzig aus dem
Fenster Schauenden ein «Breemi» – einen Russfleck – zu verpassen. Als Ziefner
Besonderheit tragen die Männer auf dem Kopf schwarze, zylinderförmige, bis zu
sechs Meter hohe Hüte.
Verwechslung mit Fasnacht
In Sissach geht es am Nünichlingler-Umgang um einiges
archaischer zu und her. Etwa zehn junge Burschen in schwarzen Kutten und langen
weissen Bärten sorgen mit ihrem Glockengeläut für viel Lärm. Einer der jungen
Männer zieht eine Kette hinter sich her, mit der er allzu vorwitzige Zuschauer
vertreibt. Ohne vorgeschriebene Route machen die Sissacher Nünichlingler bei
ausgesuchten Brauchtumsliebhabern Halt, wo sie mit Tranksamen und Essen
verpflegt werden. Dabei intonieren sie den überlieferten Spruch:
«Der Nünichlingler macht der Rundgang duurs Dorf. Sy die
bööse Buebe und Mäitli no uuf? Mer nääme se mit. Mer chette sen aa, alli, wo
nit gfolget häi ghaa.»
Findet in Sissach das Nünichlingen ohne grossen
Publikumsaufmarsch statt, drängen sich in Ziefen vermehrt auswärtige Besucher
am Strassenrand. Das schafft Probleme. Für die Nünichlingler, die es inzwischen
auf die Liste der lebendigen Traditionen in der Schweiz geschafft haben, werde
es immer beschwerlicher, ihre bis zu sechs Meter hohen Hüte durch die Strasse
zu jonglieren, erzählt der Dorfchronist Franz Stohler. Vermehrt würden sich
Zuschauer hinter den Nünichlinglern einreihen. «Eine Unsitte», ärgert sich
Stohler: «Das Nünichlingeln ist kein Guggenmusikumzug.»
Voraus geht der grösste Bursche mit angehängtem weissem Bart, der in der Hand eine Stange mit russgeschwärztem Lappen trägt; wer den Kopf neugierig aus dem Fenster streckt, riskiert einen Russfleck aufgeklatscht zu erhalten. Die Männer sind alle in lange, dunkle Mäntel gekleidet und tragen auf dem Kopf schwarze, zylindrische Kartonröhren, die bis zwei Meter hoch sein können. Diese Kopfbedeckungen haben jedoch keine tiefere Bedeutung, sie entstanden im Laufe der Zeit durch spielerischen Wettstreit der Teilnehmer um den höchsten Zylinder.
Der heutige Umgang ist die seit etwa einem halben Jahrhundert gepflegte und "gesittetere" Form früherer wilder Umzüge, die in verschiedenen Dörfern des Kantons Baselland seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts bekannt sind.
Wenns am Heiligoobe nüüni schlootBrauchtum Nünichlingeln: Ein ungewöhnlicher Brauch findet zu Heiligabend in Sissach, Ziefen und Arboldswil statt.
Wenns am Heiligoobe nüüni schloot
(Artikel aus der Basler Zeitung 14. Dezember 2019, Autor: HeinerOberer)
Brauchtum Nünichlingeln: Ein ungewöhnlicher Brauch findet zu Heiligabend in Sissach,
Ziefen und Arboldswil statt.
Den Nünichlinglern war man nicht immer wohlgesinnt. 1827
rügt der «Schweizer Bote»: «die höchst gottvergessene Gewohnheit, dass in
vielen Gemeinden der Landschaft junge Burschen am heiligen Abend schändlich
maskiert, mit Trinkeln (Treicheln) auf den Gassen und in den Häusern als
sogenannte Neuneklingler umherschwärmen und einen unverantwortlichen Lärm
verursachen, um die kleinen Kinder in Furcht zu jagen. Das ‹Untier› werfe, um
diese hinter dem Ofen hervorzulocken, Nüsse in die Stube, dringe dann herein
und drohe sie hinauszuschleppen, zum grossen Schaden der unschuldigen Kleinen.»
Dem kann der Schreibende nur beipflichten. Wurde er doch als
kleiner Bube regelmässig von den Nünichlinglern heimgesucht. Verschanzt im
Kinderzimmer, versuchte er den rasselnden und schellenden Rabauken zu
entkommen. Half alles nichts. Der eingeschüchterte Bube musste antraben, ein
sicherlich pädagogisch wertvolles «Värsli» vor sich hin stottern. Trotz seines
heroischen Vortrags wurde er in Ketten gelegt und vom stattlichsten Kerl der
unheimlichen Bande zurechtgewiesen. Geschadet hat es nichts. Geblieben ist die
Erinnerung an einen archaischen Brauch an Heiligabend, der noch heute in
Ziefen, Sissach und Arboldswil lebendig ist.
Russlappen für Vorwitzige
Ums Jahr 1900 sind die Pfarrer froh, dass das «Zerrbild des
Nikolaus» wenig mehr auftritt. Aber noch um 1930 lärmten zum Beispiel in
Arboldswil und Läufelfingen ungezügelte junge Nünichlingler gruppenweise mit
Kuhglocken und Ketten durch das Dorf. In Pelerinen und Militärkaputen, mit
russigen Gesichtern und Bärten aus Wärch (Werg) oder Seidenresten
(Seidenband-Heimindustrie), aber auch etwa in weissen Nachthemden rannten sie
Buben und Mädchen nach, banden sie oder tunkten sie in den Brunnen. Sie kamen,
gebeten oder ungebeten, in die Häuser, schreckten die Kinder und warfen Nüsse
und dürre Schnitze auf den Boden. Um die Nünichlingler wohlgesinnt zu stimmen,
gab man ihnen Most oder Schnaps, oder auch mal ein paar Batzen.
In seinem im Jahr 2008 erschienen Buch «Magische Ziefner
Nünichlingler» versucht der Ziefner Franz Stohler (81), selber ehemaliger
Nünichlingler, dem Brauch näherzukommen. Er schreibt: «… Ihre Entstehung und
der genaue Zweck liegen im Dunkeln. Der Brauch existiert einfach und wird Jahr
für Jahr wiederholt, von Generation zu Generation weitergegeben. Er gehört
heute zum Dorf Ziefen und ist nicht mehr wegzudenken.»
Erst zu Beginn der 1930er-Jahre bildet sich in Ziefen die
heutige, gepflegtere Form des Nünichlingelns heraus. Vorher traten die
Nünichlingler, wie noch heute in Sissach, als kleine Gruppen, ohne feste Route
auf. Wer aus dem Fenster schaute, wurde mit einem Russlappen geschwärzt, der an
einer langen Stange befestigt war.
Mit Lärm gegen Dämonen
Aber warum Nünichlingler? Woher kommt der Name? Klar ist:
Geklingelt wird um 9 Uhr abends – und das am Heiligen Abend. Auch Stohler weiss
darauf keine abschliessende Antwort. Trotz intensiven Suchens in alle
Richtungen sei er nirgends auf Hinweise gestossen, die den gewählten Zeitpunkt
erklären können.
Die Nünichlingler gehören zur «Familie» der Lärmbräuche des
Mitwinters. Dass in den langen, dunklen Nächten (den sogenannten Raunächten)
des Dezembers Maskengestalten in Pelzen und Kuhhäuten mit Ketten oder Glocken
lärmend durch die Strassen zogen, war in ganz Europa weitverbreitet. Als
Raunächte werden die zwölf Nächte zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar
bezeichnet. Erst wenn diese zwölf Nächte vorbei sind, siegt wieder das Licht
über die Dunkelheit. In diesen dunklen, mysteriösen Nächten galt es darum, die
Dämonen mit Lärm zu vertreiben.
So werden auch heuer am 24.Dezember in Ziefen, Sissach und
Arboldswil um 21 Uhr wieder die Nünichlingler unterwegs sein. In Ziefen ziehen
gegen 50 junge Männer unter dem Getöse im gleichmässigen Takt geschwungener
Glocken auf der traditionellen Route durch das stockfinstere Dorf. Angeführt
werden sie vom Besenmann, dem grössten Burschen mit weissem Bart. In der Hand
trägt er eine Stange mit einem russgeschwärzten Lappen, um den vorwitzig aus dem
Fenster Schauenden ein «Breemi» – einen Russfleck – zu verpassen. Als Ziefner
Besonderheit tragen die Männer auf dem Kopf schwarze, zylinderförmige, bis zu
sechs Meter hohe Hüte.
Verwechslung mit Fasnacht
In Sissach geht es am Nünichlingler-Umgang um einiges
archaischer zu und her. Etwa zehn junge Burschen in schwarzen Kutten und langen
weissen Bärten sorgen mit ihrem Glockengeläut für viel Lärm. Einer der jungen
Männer zieht eine Kette hinter sich her, mit der er allzu vorwitzige Zuschauer
vertreibt. Ohne vorgeschriebene Route machen die Sissacher Nünichlingler bei
ausgesuchten Brauchtumsliebhabern Halt, wo sie mit Tranksamen und Essen
verpflegt werden. Dabei intonieren sie den überlieferten Spruch:
«Der Nünichlingler macht der Rundgang duurs Dorf. Sy die
bööse Buebe und Mäitli no uuf? Mer nääme se mit. Mer chette sen aa, alli, wo
nit gfolget häi ghaa.»
Findet in Sissach das Nünichlingen ohne grossen
Publikumsaufmarsch statt, drängen sich in Ziefen vermehrt auswärtige Besucher
am Strassenrand. Das schafft Probleme. Für die Nünichlingler, die es inzwischen
auf die Liste der lebendigen Traditionen in der Schweiz geschafft haben, werde
es immer beschwerlicher, ihre bis zu sechs Meter hohen Hüte durch die Strasse
zu jonglieren, erzählt der Dorfchronist Franz Stohler. Vermehrt würden sich
Zuschauer hinter den Nünichlinglern einreihen. «Eine Unsitte», ärgert sich
Stohler: «Das Nünichlingeln ist kein Guggenmusikumzug.»